Unvollkommenheit – warum reizt sie uns?

Worin liegt eigentlich denn der Reiz der Unvollkommenheit? Als Mensch strebt, sucht man ja scheinbar immer nach Vollendung, nach dem Vollkommenen, dem Non-Plus-Ultra. Schneller, schöner und weiter. Oder nicht?

Dabei ist das Schöne, das Reizvolle doch immer das Unvollkommene, ach so Menschliche, das unsere Gefühle weckt. Es bleibt länger in Erinnerung. Es hat die Ecke, die Fehlstelle, an welcher unser Gefühl ansetzen kann egal ob Mitleid, Sympathie oder Interesse, Neugier. Selbst in der vollendeten Schönheit suchen wir nach einer Druckstelle, einem Fehler, wenn wir uns ihr nähern wollen und werden sprachlos, wenn es diese nicht gibt.

Ist es nicht die Unvollkommenheit, die unsere Neugier schürt, uns weiter und weitertreibt?
Je mehr ich mich in ein Thema vertiefe, desto mehr Denkräume eröffnen sich mir, erkenne ich die Vielfalt weiterer Möglichkeiten. Also ist es auch bei der Suche nach Erkenntnis die Unvollkommenheit die mich treibt.

Und was ist eigentlich Unvollkommenheit?
Ich denke, das ist subjektiv. Zuerst denke ich an etwas, das bisher noch nicht fertig wurde, es ist also noch nicht vollkommen, noch nicht abgeschlossen. Oder andererseits an jenes, welches bereits über den Grad der Vollkommenheit hinaus ist und sich im Vergehen befindet.

Ist der Herbst ein Beispiel für Unvollkommenheit? Die Bäume, deren Blätter sich verfärben… sie erhalten nicht mehr genügend Energie über die Wurzeln des Baumes, sind nicht mehr vollkommen und doch, im Vergehen so schön! Vollkommene Schönheit im Unvollkommenen?

Frühling – Unvollkommenheit – auf dem Weg zur Blüte – zur höchsten Entfaltung – wie reizvoll scheint uns dieses Stadium, welches so viel Kraft, so viel Verheißung birgt und Zukünftiges kündet! Andererseits scheint uns der Frühling pure Vollkommenheit!!!

Dann wäre der Sommer die vollkommene Zeit des Jahres? Der High-Noon der Natur – ist das Vollkommenheit? Oder ist es genau anders herum? Die Vollkommenheit liegt in der Stille der Natur im Winter?

Der Reiz des Unvollkommenen – liegt in der Irritation des Gleichmaßes, der fehlenden Harmonie, in der nicht vollständig entwickelten Schönheit, in der Dissonanz, im Unebenen, im Ungleichen? Ist die Grenze zwischen Unvollkommenheit und Vollkommenheit subjektiv? Ich denke schon.

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